Interview mit Mat Schaer

Interview mit Mat Schaer

Interview mit Mat Schaer

Update vom 17. Januar 2023: Inzwischen ist der Film "La Zone" online erschienen, wir haben ihn für dich extra hier verlinkt:

Mit Photos von Michel Cordey und Ruedi Flück

Mat Schaer ist ein beeindruckender Kerl. Seine wahnsinnigen Parts in den Absinthe-Filmen hat er in den 6-Wöchigen Semesterferien seines Studiums in den Kasten bekommen. Eine Aufgabe, wofür der durchschnittliche Snowboard-Pro eine volle Saison benötigt. Der Rest des Jahres hat er sich seinem Studium für Umweltwissenschaften gewidmet, welches er an der EPFL Lausanne absolviert hat. Die Zeiten der Freestyle-Video-Parts und des Studiums sind nun vorbei, inzwischen arbeitet der Umweltwissenschaftler bei Meteo Schweiz und hat sich zum Big Mountain Rider weiterentwickelt. Wir haben uns mit ihm getroffen, um uns über Nachhaltigkeit im Wintersport und seinen neuesten Film „La Zone“ zu unterhalten.

Mat Schaer mit einem Turn

Hallo Mat, wie geht's dir? Wo steckst du gerade und was läuft so in deinem Leben?


Hey, mir geht's gut, danke. Im Moment bin ich zu Hause in Genf. Leider bin ich diese Saison noch nicht auf dem Snowboard gestanden. Ich freue mich aber auf nächstes Wochenende, da ich mit dem Jones Team an einem Lawinenkurs in Chamonix teilnehme.

Es ist eine ziemlich intensive Zeit. Das Arbeitspensum bei Meteoschweiz ist gegen Ende des Jahres sehr hoch und zudem habe ich mehrere Premieren für meine neuen Filmprojekte. 


Du hast in den letzten zwei Saisons am Snowboard-Film „La Zone“ gearbeitet. Worum geht es?


La Zone ist ein kurzer Dokumentarfilm über die Geschichte eines besonderen Ortes: Der Col de Cou. Hier entstanden einige der größten Momente in der Ära des Backcountry Freestyles, welche in Europa auf Film festgehalten wurden, zum großen Teil durch die Linse von David „Vlady“ Vladyka,  Absinthe-Filmer der ersten Stunde.

Diese Momente, die zu einer Zeit gefilmt wurden, als Snowboard-Filme noch auf DVDs statt auf Smartphones angeschaut wurden, haben Generationen von Snowboardern inspiriert. Dazu gehörten auch Julien Roserens, der Regisseur des Films und ich. So machten wir uns ebenfalls auf den Weg zum Col de Cou und filmten dort erst mit einer lokalen Crew - später mit Absinthe Films und konnten so Teil dieses Kapitels der Snowboard-Geschichte werden.

Obwohl die Euphorie der guten alten Zeit, in der man in der Zone massive Kicker bauen konnte, verflogen ist, bleibt es einer meiner Lieblingsspots, um an einem Powder-Tag splitboarden zu gehen.

Der Film ist also eine Art Hommage an diesen Ort und die goldenen Jahre der Absinthe-Filme.

La Zone Film Plakat

Klingt sehr interessant. Wie haben sich die Filmarbeiten gestaltet? Welches waren die größten Herausforderungen?


Wir sind sehr glücklich über das Endergebnis und der Film wurde für viele Filmfestivals auf der ganzen Welt ausgewählt. Wir bekamen viele positive Rückmeldungen und erhielten sogar den Preis für das „beste Storytelling" beim IF3 in Kanada.


Neben vielen Archivaufnahmen wollten wir auch neue Splitboard-Aufnahmen zeigen. Das war eine Herausforderung, denn der letzte Winter war mild und trocken mit nur wenigen, guten Powder-Tagen. Insbesondere, da der Col de Cou auf einer relativ niedrigen Höhe liegt (unter 2000m). Ich hatte mir bessere Bedingungen erhofft, um mehr neue Aufnahmen machen zu können, vor allem Natural Freestyle und einige Freeride-Abfahrten. Aber am Ende denke ich, dass wir alles haben, was wir für diese Art von Film brauchen.


Können wir den Film irgendwo an einer Premiere oder zu Hause schauen?


Die nächsten Daten sind der 8. Dezember in Vevey sowie der 10. Dezember in Laax am IF3. Ab Mitte Dezember wird er dann auch online zu sehen sein.

Mat Schaer mit einem Sprung mit seinem Splitboard

Wie du bereits angedeutet hast, war es aufgrund der Schneebedingungen nicht ganz einfach den Film zu drehen. Müssen wir uns an wärmere Winter gewöhnen? Gibt es andere Folgen, die uns den Wintersport künftig erschweren?


Ja, der Trend ist klar: Wir müssen uns an immer wärmere Winter gewöhnen. Obwohl die natürliche Variabilität des Klimasystems uns von Zeit zu Zeit, vor allem in höheren Lagen, gute Bedingungen bescheren wird. Aber die guten Winter von heute sind zu den durchschnittlichen Wintern der Vergangenheit geworden, und die guten Winter der Vergangenheit mit viel Schnee in niedrigen Lagen wird es in Zukunft kaum noch geben. Die Schneefallgrenze steigt mit jedem Grad Erwärmung um etwa 200m in die Höhe und wenn der Schnee zu Regen wird, wissen wir alle, wie es aussieht…

Zurzeit ist es in der Schweiz etwa 2,5°C wärmer als in der vorindustriellen Zeit, die Erwärmung war also doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Dadurch werden die Saisons auch immer kürzer, da die Schneedecke im Frühjahr früher schmilzt.

Es ist ein Fakt, dass schlechte Winter negative wirtschaftliche Auswirkungen auf die Ski- und Snowboardindustrie haben. Frischer Schnee, vor allem wenn er früh und im Flachland fällt, lockt die Menschen in die Berge. Mit der globalen Erwärmung könnten die Winter also unattraktiver werden, was dazu führen könnte, dass das Wintergeschäft auf lange Sicht wirtschaftlich immer unrentabler wird, lange bevor der Schnee ganz aus unseren Bergen verschwunden ist.


Für diejenigen, die im späten Frühjahr auf gute Schneeverhältnisse in steilen Nordwänden hoffen, könnte es ebenfalls schwieriger werden. Warme Temperaturen in großer Höhe (über 4000m) über lange Zeit und sehr schlechte Abstrahlung über Nacht machen diese Unterfangen fast unmöglich. So war es auch letzten Frühling, als wir die meisten unserer Projekte mangels Schnee und zu hohen Temperaturen abbrechen mussten. Letztendlich konnten wir nur zwei kurze Missions durchführen.

Mat Schaer mit einem Turn

Können wir Wintersportler etwas tun, um die globale Erwärmung zu bremsen?


Jeder kann und sollte sich am Kampf gegen den Klimawandel beteiligen, es ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wir sind die letzte Generation, die die Erderwärmung unter dem Ziel des Pariser Abkommens von 2°C halten kann, um einen gefährlichen, unumkehrbaren und unkontrollierbaren Klimawandel mit noch viel schlimmeren Folgen zu vermeiden, als wir sie in den letzten Jahren erlebt haben (Brände, Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen, usw.). Es geht nicht nur darum, die Zukunft unseres geliebten Wintersports zu sichern, sondern auch darum, unseren Planeten bewohnbar zu halten. Die Wissenschaft ist sich darüber im Klaren, aber ich glaube immer noch, dass die große Mehrheit der Menschen, einschließlich der Entscheidungsträger, nicht wirklich versteht, was auf dem Spiel steht und dass uns die Zeit davonläuft. 


Unsere moderne Gesellschaft wurde mit der der Verbrennung fossiler Brennstoffe aufgebaut und ist immer noch stark von ihr abhängig. Um die globale Erwärmung einzudämmen, müssen wir innerhalb von weniger als drei Jahrzehnten die Gewinnung und Nutzung dieser Energieträger vollständig einstellen. Dazu brauchen wir einen raschen und umfassenden Strukturwandel. Und wie Valérie-Masson Delmotte, ein berühmter französischer Klimawissenschaftler und Co-Vorsitzender des IPCC, betont, zählt jede vermiedene Tonne CO2.


Also zurück zu der Frage, was wir Wintersportler tun können.


Erstens wirkt sich der Klimawandel direkt auf unser Handeln und die Berge, die wir lieben, aus. Daher können wir über dieses Thema kommunizieren und dazu beitragen, das allgemeine Bewusstsein zu schärfen. Dies kann über soziale Netzwerke, Filme oder im Alltag im Gespräch mit Familie, Freunden oder Kollegen geschehen. Es ist in der Regel einfacher und nachvollziehbarer, über etwas zu sprechen, das uns selbst direkt betrifft.


Zweitens: Wenn wir alle Outdoor-Enthusiasten in der Schweiz berücksichtigen, ergibt das eine grosse Anzahl Personen, die wir für das Thema Klimawandel mobilisieren können und dazu beitragen können, bei wichtigen Abstimmungen zu diesem Thema den Unterschied zu machen. Um den notwendigen Strukturwandel, weg von fossilen Brennstoffen, zu vollziehen, braucht es die Gesetzgebung. Mit dem Gegenentwurf zur Gletscher-Initiative steht demnächst eine wichtige Abstimmung an, die entscheidend ist, dass die Schweiz ihre Emissionsreduktionsziele, wie sie bei der Unterzeichnung des Pariser Abkommens versprochen wird, erreicht werden.


Drittens ist der Wintersport eine teure Angelegenheit, die oft nur privilegierten Menschen vorbehalten ist. Diese sind in der Regel auch die größten Verbraucher und damit Verursacher von Emissionen. Aber auch Großverbraucher haben die Möglichkeit, etwas zu bewirken, indem sie Unternehmen boykottieren, die keine Maßnahmen zur Begrenzung ihrer Emissionen ergreifen, und diejenigen bevorzugen, die mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn die Verbraucher umweltfreundlichere Produkte verlangen, wird die Industrie dazu gedrängt, diese auch zu liefern. Aber Vorsicht vor Greenwashing!


Schlussendlich sind Outdoor-Aktivitäten nicht einfach nur Sportarten sondern Teil eines Lifestyles. Durch Filme und die Kommunikation in den sozialen Netzwerken fördern Profisportler und Outdoor-Marken diesen Lebensstil und animieren die Menschen dazu, die gleichen Aktivitäten wie die Profis mit der gleichen Ausrüstung zu unternehmen.


Mir ist klar, dass wir um Umweltkatastrophen zu verhindern, neue Narrative schaffen und neue Ideale fördern müssen, die mehr mit der Erhaltung der Umwelt in Einklang stehen und weniger auf übermäßigen Konsum ausgerichtet sind. Und ich bin sicher, dass die Outdoor-Gemeinschaft hier eine wichtige Rolle spielen kann.

Sich um die Umwelt zu kümmern, muss cool werden und das gilt auch für das Fahren mit der Bahn oder dem Fahrrad anstelle eines großen Geländewagens, für das Splitboarding/Skitouren anstelle eines Hubschraubers, für die Erkundung unserer heimischen Gefilde anstelle des alljährlichen Flugs und für die Wiederverwendung und Reparatur von Gegenständen anstelle des ständigen Kaufs neuester Mode.

Mat Schaer mit einem Sprung

Neben dem Umweltaspekt sind auch die steigenden Stromtarife in aller Munde. Du als Umweltwissenschaftler hast sicher ein paar Tipps, wie wir Strom sparen können?


Wir haben es mit einer globalen Energiekrise zu tun und nicht nur mit einer Stromkrise in der Schweiz. Deshalb möchte ich lieber über Energieeinsparungen im Allgemeinen sprechen, zu denen neben Strom auch Erdöl und Erdgas gehören. Die folgende Liste zählt ein paar mögliche Beispiele auf Energie zu sparen.


Zu Hause:

  • Heize deine Wohnung auf maximal 20°C und trage bei Bedarf einen dicken Pullover. Thermometer oder Thermostatventile zur Kontrolle oder Regulierung findet man im Supermarkt bzw. im Fachmarkt.
  • Sorge dafür, dass die Heizkörper frei stehen. Möbel halten die Wärme davon ab, sich im Raum auszubreiten und sind somit schlecht für die Wärmeeffizienz.
  • Schließe nachts und vor einer Abwesenheit die Rollläden. So entweicht weniger Wärme nach draußen.
  • Senke die Heizung, wenn du in den Ferien machst.
  • Verwende überall LED-Birnen.
  • Schalte das Licht aus, wenn du den Raum verlässt.
  • Benutze Spül- und Waschmaschinen im Öko-Modus und nur, wenn sie voll sind.
  • Vermeide den Gebrauch von Wäschetrocknern. Ein Wäscheständer tut es auch. 
  • Verwende beim Kochen einen Deckel.
  • Schalte den Backofen bereits aus, bevor das Essen fertig gegart ist. Der Backofen bleibt lange warm.
  • Schalte nachts und im Urlaub das WLAN aus.
  • Sieh dir Streaming-Filme in geringerer Auflösung an. 
  • Verwende Steckerleisten für elektronische Geräte und schalte diese über Nacht aus, um sämtliche Geräte vom Netz zu trennen.
  • Wenn du das Glück hast, Wohneigentümer zu sein, denke über eine Photovoltaikanlage und Fassadenisolierung nach.

Viele dieser praktischen Tipps können auch am Arbeitsplatz angewendet werden!

In den Verkehrsmitteln:

  • Gehe mehr zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit.
  • Nutze öffentliche Verkehrsmittel, Carsharing und Autos mit niedrigem Verbrauch.
  • Wenn möglich, reduziere das Pendeln durch Home Office.
  • Bevorzuge Aktivitäten, die näher am Wohnort stattfinden.

Mat Schaer mit einem Butter

Vielen Dank für diese wertvollen Tipps! Zurück zum Snowboarden: Was steht diese Saison an? Hast du wieder ein Projekt geplant?


Neben dem Film “La Zone” habe ich mit dem französischen Skifahrer Gaëtan Gaudissard für sein Projekt "Conscience" gefilmt, bei dem es darum geht, die Berge mit einem geringeren, ökologischen Fußabdruck zu genießen und das Bewusstsein für die Auswirkungen des Klimawandels in den Bergen zu schärfen. Wir haben zwei Web-Episoden gedreht, die im Dezember 2022 und Februar 2023 erscheinen werden. Irgendwie habe ich es letztes Jahr geschafft, ziemlich viel zu machen.

Diese Saison werde ich es wohl etwas ruhiger angehen lassen und das Fahren mit Freunden genießen. Ich will nicht unbedingt jedes Jahr neue Filmprojekte machen. Um ehrlich zu sein, habe ich auch nicht jedes Mal neue Geschichten zu erzählen. Was meine Vorstellung von Nachhaltigkeit angeht, so ist weniger manchmal mehr.


In deiner Arbeit bei Meteoschweiz hilfst du mit Wetterprognosen zu erstellen. Hast du einen Tipp, wie wir Laien die Wetterprognosen anschauen und interpretieren sollen?


Zunächst einmal ist eine Prognose, wie der Name schon sagt, eine Vorhersage über die Zukunft und damit mit einer gewissen Unsicherheit verbunden. Dies gilt insbesondere für das Wetter, da die Atmosphäre ein chaotisches System ist. Außerdem ist die Schweiz von Bergen mit einer sehr komplexen Topografie bedeckt, was das Vorhersagen noch schwieriger macht, da das Gelände das Wettergeschehen stark beeinflusst. Nimm eine Prognose also nicht als absolute Wahrheit, sie ist oft nur ein mögliches Szenario (das wahrscheinlichste) unter vielen. Der Grad der Unsicherheit hängt oft von der Wetterlage ab. Während wir bei starkem Hochdruckwetter mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrere Tage im Voraus schönes Wetter vorhersagen können, ist es bei Gewittersituationen unmöglich, auch nur ein paar Stunden im Voraus genau vorherzusagen, wann und wo sie auftreten werden! In unserer App geben wir Hinweise auf diese Unsicherheit für Niederschlag und Temperatur in den lokalen Vorhersagen (verfügbar für jede Postleitzahl und viele Gebirgsregionen). Stelle also sicher, dass du sie erkennst und verstehst. In Zukunft werden wir mehr und mehr probabilistische Vorhersage-Informationen bereitstellen, um dieser Unsicherheit Rechnung zu tragen. Dies kann sehr nützlich sein und bessere Entscheidungen ermöglichen. Wenn die Vorhersage mit hoher Wahrscheinlichkeit einen sonnigen Tag ankündigt, möchte ich vielleicht einen technischen Gipfel in Angriff nehmen, während ich, wenn die Vorhersage zwar sonnig ist, aber eine hohe Wahrscheinlichkeit für starken Regen (Gewitter) besteht, lieber einen leichten Spaziergang machen.


Ansonsten solltest du versuchen, die verschiedenen verfügbaren Tools zu vergleichen und in Bezug zu setzen (Text-Bulletins, die von Meteologen verfasst werden und automatisch generierten Radaranimation/lokalen Vorhersagen). Siehe dir auch verschiedene Quellen an, um ein besseres Gefühl für die Unsicherheit zu bekommen. Wenn die verschiedenen Vorhersagen stark voneinander abweichen, bedeutet dies, dass das Wetter unsicherer ist. Aktiviere bei starkem Unwetter die Warnungen für deinen Standort.


Weitere Informationen findest du auf unseren Websites:

https://www.meteoswiss.admin.ch/weather/weather-and-climate-from-a-to-z/probability-in-forecasts.html


https://www.meteoswiss.admin.ch/weather/weather-and-climate-from-a-to-z/hazards.html


Vielen Dank für deine Zeit. Wir wünschen dir eine erfolg- und schneereiche Saison! Möchtest du noch etwas loswerden?


Danke an Hä? für das Warmhalten von Kopf und Nacken im Winter, für das Interview und die vielen guten Sessions in den Bergen;)

Mat Schaer

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